ANNE KLINGE, geboren 1972 in Jena/Thüringen, studierte Theaterwissenschaften, Psychologie und Literaturgeschichte in Erlangen und Nürnberg. Nach dem Abschluss 1996 begann sie eine Regieausbildung am Schauspielhaus Bochum und dem Bayrischen Staatsschauspiel. Seit 1999 arbeitet sie als freie Regisseurin an verschiedenen Stadt- und Landestheatern in Deutschland und Österreich mit bisher über 60 Inszenierungen, u.a. von 2002 – 2007 als ständige Regisseurin am Landestheater Coburg.
Schon während des Studiums machte sie eine Ausbildung in Pantomime und Körpertheater und entwickelte schließlich ihre Technik des Fußtheaterspiels.
Diese eigenwillige Kunst brachte ihr schon einige Preise wie den Gewinn des Gaukler- und Kleinkunstpreises der Stadt Koblenz 2010 und Fernsehauftritte ein, unter anderem Auftritte in der Bülent Ceylan Show, bei "Gottschalk live" und in der Talkshow "Tietjen und Hirschhausen".
Die Künstlerin Anne Klinge – hinter den Kulissen - im Interview
Wie kommt man denn eigentlich auf die Idee, Geschichten mit den Füßen zu erzählen?
Wie verhilft man den blanken Füßen zu einer Mimik, einem Ausdruck?
Ich denke nicht im Detail an irgendwelche Muskeln oder irgendwelche Falten, die sich im Fuß ergeben. Ich denke ganzheitlich, baue im Körper eine Emotion mit der Schauspieltechnik auf, eine Traurigkeit, eine Fröhlichkeit, einen überraschenden Blick, und ich denke mit, was die Figuren denken. Wenn ich das alles ganz präzise mache, die Füße also nicht nur bewege, sondern alles konzentriert mitdenke, dann kriegen die Füße diesen Ausdruck. Ich habe ja auf den Füßen wirklich nur die Nase, keine Augen, keinen Mund, die Zuschauer haben dadurch die Möglichkeit, ganz viel hineinzulesen, und ich glaube auch, das ist es, was die Leute so mögen. Dass es noch so eine Freiheit gibt im Zuschauen, einen Eigenanteil. Indem ich etwas denke und das auch in einer entsprechenden Spannung spiele, übertrage ich es so, dass die Leute verstehen, was die Figur meint. Der Rest, also was sich noch so an zufälliger Faltenmimik ergibt, kommt dann noch dazu.
Wie kommen Sie von der Idee zur Umsetzung des Stückes? Setzen Sie sich einfach daheim auf den Boden und probieren mit Ihren Händen und Füßen herum? Fertigen Sie Skizzen an oder entwerfen Sie ein Skript?
Das sind immer sehr unterschiedliche Herangehensweisen. Für Märchen schreibe ich vorher einen Text, da diese im Gegensatz zu den nonverbalen Erwachsenenstücken, dialogisch sind. Bei den Erwachsenenprogrammen gehe ich von einer Grundidee aus und gelange durch Improvisation zur Ausarbeitung. Dann müssen auch noch ganz praktische Dinge geklärt werden, zum Beispiel wohin ich mir die Dinge am besten lege, um an sie heran zu kommen oder welche Hand in welchem Moment zu welcher Figur gehören soll. Den endgültigen Schliff bekommt die Geschichte dann bei den ersten Aufführungen, da geht es dann oft auch noch um Reduktion.
Hat sich die Beziehung zu Ihren Füßen im Laufe der Zeit verändert?
Ich komme aus dem Wald, mein Vater ist Erdbebenforscher und wir wohnten in einer Erdbebenforschungsstation mitten im Wald im Thüringer Schiefergebirge. Und damit es keine Erschütterungen auf den Messgeräten gab, mussten wir immer barfuß laufen....Als Kind und im Studium bin ich wirklich den ganzen Sommer barfuß gelaufen. Inzwischen geht das nicht mehr so gut, ich habe ja alle paar Tage eine Aufführung. Tatsächlich passe ich sehr gut auf meine Füße auf, trage nie hohe Schuhe – eigentlich sollte ich auch nicht unbedingt Skifahren, aber das kann ich mir dann doch nicht verkneifen.
Wie groß sind eigentlich ihre Füße?
Ich habe verhältnismäßig kleine Füße (36/37) und auch kleine Hände, das ist vielleicht ein großer Vorteil für die „Füßiognomie“.
Sie hatten ja zuerst die Programme für die Erwachsenen entwickelt. Das ist ja eher ungewöhnlich. Was waren hier Ihre Beweggründe?
Viele Menschen assoziieren Puppentheater immer mit reinem Kindertheater. Ich hatte diesen Gedanken nie.
Als Regisseurin habe ich an den Stadttheatern hauptsächlich Erwachsenentheater inszeniert und dabei immer gerne verschiedene Genres, wie Tanz, Gesang, Zauberei oder Figurentheater mit dem Schauspiel kombiniert. So lag es für mich nahe, zunächst ein Programm für Erwachsenen zu erarbeiten. Erst als ich selbst Kinder hatte, mussten auch Kinderstücke her. In den Kinderstücken sprechen ja meine Figuren life, die Erwachsenenstücke sind nahezu nonverbal mit Musik.
Woher nehmen Sie die Ideen für Ihre Stücke?
Eigentlich nehme ich meine Ideen von überall her, aus dem Alltag, aus dem Phantasienreichtum meiner Kinder, aus anderen Bereichen der Kunst-ich improvisiere mit den Gegenständen und versuche, alle logischen Grenzen fallen zu lassen. Auch das kann man gut von Kindern lernen: nichts muss so sein-alles kann auch ganz anders sein. Erstaunlich, welch neue Perspektiven sich dabei auftun.
Ist das Fuß-Theater spielen nicht furchtbar anstrengend?
Für mich ist es nicht besonders anstrengend, aber ich habe in all den Jahren eine ganz eigene Bewegungsökonomie, die eng an den Atem geknüpft ist, am besten vielleicht mit Yoga vergleichbar. Allerdings merke ich auch einen Unterschied zwischen Stücken, die schon lange laufen und neu inszenierten Stücken, da ist manches am Anfang noch „kantiger“ und damit - auch anstrengender. Allerdings dehnen muss ich mich vor jeder Aufführung lange und konzentriert, sonst habe ich anschließend Muskelkater.
Wie wissen Sie denn, wenn Sie Stücke einstudieren, ob alles passt - Sie können sich ja schlecht selbst dabei sehen?
Das meiste kann ich gut auch „von hinten“ gesehen beurteilen, später sind dann die Reaktionen der Zuschauer ein wichtiges Korrektiv. Bei neuen Produktionen benutze ich hin und wieder die Möglichkeit einer Videoaufzeichnung und auch befreundete Regisseure sind beratend dabei. Zudem sind meine Kinder ein gutes, weil kritisches Testpublikum.
Wie viele unterschiedliche Charaktere können Sie denn darstellen?
Ich glaube, das Maximum innerhalb einer Szene sind 5 Figuren (in der „Zauberflöte“). Da müssen dann aber alle Hände, Füße und mein Gesicht mit Maske mitspielen
Wir leben in einer schnellen, sich stetig entwickelnden, digitalisierten Welt. Worin liegt Ihrer Meinung nach der Reiz, sich ein eigentlich „schlichtes“, mit Händen und Füßen performtes Stück, anzusehen?
Die Zuschauer beschreiben mir, dass sie während des Spiels vergessen, dass hinter den so lebendigen Figuren, noch jemand liegt. Es entsteht eine kreative Atmosphäre, weil die Fußgesichter nur mit den Nasen, ohne Augen und Mund und den sich immer verändernden Falten und Blickwinkeln einen großen Freiraum lassen, um in die Figuren Charaktere, Gedanken und Emotionen hineinzuinterpretieren. Das ist vielleicht auch ein Gegensatz zu unserer oft überinterpretierten Welt des Massenkonsums.
Was ist Ihr persönliches Highlight Ihrer Karriere? Gab es einen Auftritt, der Sie beeinflusst hat oder eine Begegnung, die Sie so schnell nicht vergessen werden?
Ich erinnere mich noch sehr gut an meinen Auftritt auf dem internationalen Gaukler- und Kleinkunstfestival Koblenz. Da gab es eine Gruppe holländischer Künstler, von denen das Publikum sehr angetan war. Und dann dachte ich Oje, wie komme ich wohl mit meiner so konzentrierten, kleinen und poetisch ruhigen Geschichte dagegen an. Und dann habe ich nicht versucht "groß" zu spielen, sondern habe auf mein Spiel vertraut und plötzlich spürte ich, wie die 2000 Zuschauer ganz bei mir waren und ein fast atemloses Staunen entstand. Das war ein gutes Gefühl. Schön war, dass ich dann sogar den ersten Preis für meinen Beitrag gewonnen habe.
Grundsätzlich mache ich mir aber weniger Gedanken über den Erfolg, auch heute, nach über 20 Jahren macht es mir einfach noch riesig Spaß, meine Fußfiguren leben zu lassen und den großen und kleinen Zuschauern dabei eine Freude zu machen.
Was kann man denn in ihren Workshops lernen?
In meinen Workshops experimentiere ich mit den Teilnehmern eher mit Objekten, es geht darum, wie Alltagsgegenständen ohne große Bastelei zu Figuren werden. Da ist auch ein ganzes Stück Körpertheaterarbeit dabei, also das Übertragen meiner Körperhaltung auf den Gegenstand/die Figur. Am Rande kommen auch Fuß- oder Handfiguren vor, aber die Anforderungen an die Kondition und Koordination sind oft zu hoch, um richtig ins Spiel einsteigen zu können.
Wer besucht ihre Workshops?
Ich habe schon Workshops mit Kindern, mit Erwachsenen, mit Schauspielern, Sängern, mit Pädagogen, mit Behinderten und Jugendlichen gemacht.
Was war denn hier Ihre interessanteste Begegnung?
In Wien gab es einen Wochenendkurs, da waren tatsächlich aus allen gerade aufgezählten Bereichen Menschen dabei, sogar eine 80jährige Filmdiva, die schon mit Marlon Brando gedreht hat. Da gab es einen autistischen Jungen, der so wunderbar in das Spiel mit seiner Figur (Hand mit Nase auf Handfläche und Hemd am Handgelenk) eingestiegen ist und am Ende mit anderen Spielern und deren Figuren eine ganz berührende Szene gespielt hat, wie ich es so intensiv nie wieder erlebt habe.
Würden Sie auch einmal gerne mit mehreren Erwachsenen oder Kindern ein Stück spielen? (Vielleicht mit uns in Dietramszell?)
Das gerade beschriebene Objekttheater eignet sich wunderbar, um auch in Gruppen Theater zu spielen. Fußtheater geht nicht wirklich zu mehreren, weil man nebeneinanderliegend kaum in Kontakt mit den anderen Fußfiguren kommen kann (weil man die Beine nicht weit genug auswärts drehen kann) Und wenn man sich gegenüberliegt, haben wiederum die Zuschauer nichts davon.
Meine Tochter hat das schon mit einer Freundin ausprobiert, es ging schon zu zweit nur sehr begrenzt. Das einzige wäre eine Band, die nebeneinander als Fußmusiker auftritt, aber eine richtige Geschichte gibt das dann nicht.
Anne Klinge spielt in Dietramszell
Eine alternde Chansonette putzt sich mit Schminke und Perücke heraus und beginnt mit einem windigen Galan eine Affaire. Verliebt umgarnt sie ihn, und als sie merkt, er liebt mehr den Playboy und nicht sie ist das dramatische Ende vorprogrammiert: Der Fuß-Mord
Ganz individuelle Bein-, Fuß- und Handarbeit der Verliebten und skurril der Tod des Untreuen. Alles gewürzt mit Musik zum Beispiel mit Edith Piaffs weltbekannter Interpretation von Milord.
Tea for Two ist die Umrahmung für den kleinen Zauberer, der mit einer Vielzahl von Kunststücken mit Seil, Ei und Mäusen ein wahres Zauberspektakel dank Anne Klinges Geschick auf die Bühne bringt.
Ein erfolgloser Fischer angelt sich eine Nixe, die leider nicht in seine Bratpfanne passt.
Rudis Restaurant: Der Tag des Kellner Rudis könnte so angenehm sein: Zeitung lesen, Bier trinken, Gläser putzen, Gäste gibt es zum Glück keine. Aber leider ist da noch das ständig schreiende Baby, oder ist es nur die Schöpfkelle?
Mit ein paar Handgriffen, Nasen, Mützen und Gewändern werden Anne Klinges Füße zu Persönlichkeiten, welche die Spielerin dahinter fast vergessen machen.
Ihre Füße entwickeln schier ein Eigenleben, wenn sie diese in Fantasie- und Märchenfiguren verwandelt und mit ihnen Geschichten erzählt. Mit ein paar Handgriffen, Nasen, Mützen und Gewändern werden ihre Füße zu Persönlichkeiten, welche die Spielerin dahinter fast vergessen machen. Das Märchen „Der gestiefelte Kater“, wird nicht nur für Kinder ganz neu erlebbar. Ob Kasimir, der schlaue Kater, es schafft, dem gutmütigen Müllersohn Willibald zur Prinzessin zu verhelfen?